Die Zigeunertaufe
und andere Auftrittsgeschichten
Einmal kurz festhalten, wo mich mein Flamencotänzerinnendasein (wenn auch nur mehr im Doppelleben) überall hinführt. Da waren:
- Schlösser mit Prunksälen, in denen barocke Bücher- oder
Jagdzimmer als Umkleide dienten
- Spelunken und Schuppen, wo wir uns in Besenkammern
oder engen, stinkenden Toiletten umziehen mußten
- mal riesige Bühnen mit schweren Vorhängen und Lichteffekten,
tosendem Applaus, Blumensträußen und distanziertem Starfeeling
- oder als Kontrastprogramm erdrückende Bäder in der Menge,
maximal 50 cm2 Platz zum Tanzen, und Banausentum
- über mehrere Tage und Nächte dauernde Sommernachtsfestivals
in Luxushotels
- Openairs, in der Größenordnung zum Teil vergleichbar mit
Pop bzw. Rock-Konzerten...
- kleine und große Gesellschaften - unzählige Hochzeiten,
Geburtstage, Jubiläen und Firmenfeiern,
davon unvergeßlich:
- der Zuhältergeburtstag, an dem sich alle Zuhälter aus Deutschland versammelten
- die sommerliche Gartenparty, gegeben von Familie (Radio-)Diehl
in Taunusstein-Falkenstein
- der Auftritt im Obdachlosen-Winterquartier
- und ...die rumänische Zigeunertaufe.
Endlich mal in Wirklichkeit erleben, was ich nur aus Filmen kenne.
Im Nachhinein fühlt sich dieses Abenteuer so unwirklich an, als wäre ich tatsächlich nur im Kino gewesen. Aber meine verschwitzen, nach Rauch stinkenden Kleider, viel Geld (Schmerzensgeld für
Trinkgeldzustecken auf teilweise respektloseste Art) und ein Zettel mit der Telefonnummer der süßen, rumänischen Sängerin, beweisen, daß ich nicht geträumt habe. Ich beweine, daß ich keinen
Fotoapparat dabei hatte, aber ich hätte ohnehin nicht fotografieren dürfen.
Folgende Fotos kleben in meinem gedanklichen Photoalbum:
KLICK: Schweinsköpfe, über die wir auf dem Weg zur Garderobe stolperten - flach auf dem Bauch liegend, alle gebratenen Viere von sich gestreckt, ihre toten Mäuler gestopft mit Orangen oder
Zitronen
KLICK: Ein Gebirgsmassiv aus frischem Obst, umrahmt von überdimensionalen Chinavasen, Freßkörben und Magnum-Champagnerflaschen
KLICK: Zwei meterhohe, mehrstöckige mit Seilen verspannte Marzipanröschen-Sahnetorten
KLICK: Schuhe... Männer in schwarz-weiß-karierten Lackslippern und Frauen in turmhohen Stilettopumps oder abenteuerlichsten Abendschlappen mit spacigen Absätzen, Riesenschleifen, Glitzer, Gold und
Silber. Die Jungs und Mädchen, egal welchen Alters, trugen das gleiche - nur ein wenig kleiner.
KLICK: Die Haare der Frauen: bis zu den Kniekehlen und fast alle mit Tolle, ganz so wie Juana Amaya.
KLICK: Blitzende Goldzähne in allen Mündern, nicht Backenzähne, wie bei mir - nein: Schneidezähne!
KLICK: Die Kleidung: eine Mischung aus totschick elegant und unüberbietbar kitschig und keine Frau in Hosen. Natürlich waren selbst die Kleinsten auf gleiche Weise herausgeputzt.
KLICK: Unzählige Kinder - alle mit dunklen Augen, frechen, neugierigen Blicken und ohne Scheu, zwei von ihnen engelsgleich inmitten des ohrenbetäubenden Lärms auf Jacken und Mänteln
schlafend...
KLICK: Alte Weiber mit Kopftuch, Schürze, Besen und Zahnlücken, die, wenn auch völlig systemlos, ununterbrochen herumputzten...
KLICK: Dicke Bäuche, mit denen sich die verschiedenen Patriarchen zu überbieten versuchten...
KLICK: Mit 1000 DM-Scheinbündeln fuchtelnde Männer und Geldregen aus lauter Hundertern...
KLICK: Tänze, herzzerreissend schöne Musik und drohende Prügeleien
Uns wurde irgendwann zu mulmig und wir folgten den Empfehlungen der Sängerin, des Saalpächters und eines netten mächtigen Rom, mit unserer, nach nur einer (statt zwei) kurzen chaotischen Darbietung
im Vorraus kassierten Gage heimlich durch den Hinterausgang zu verschwinden.
All das fand mitten in Frankfurt statt, war real und wir waren dort.