Haltung im Schicksal,

Anmut in der Qual

bedeutet nicht nur ein Dulden;

sie ist eine aktive Leistung,

ein positiver Triumph.

(Thomas Mann)

 

 

Bleib gelassen. Eine Nacht kann lang sein.

Aber jeden, wirklich jeden Morgen ist es wieder hell geworden.

Manchmal sogar strahlend schön.

 

 

 

 

Opfer + Täter

In der Depresson
bin ich Opfer
Der Täter ist
in mir
Ein Teil von mir?
Ich
bin es nicht
zumindest nicht die
als die ich mich
in allen übrigen Zuständen
begreife

27/08/10

 

 

 

 

 

 

 

Das Monster auf dem Schrank

Auf meinem Schrank wohnt ein Monster.
Gut verschlossen in einer Kiste ganz hinten an der Wand.

Ich habe Angst vor ihm,
denn ich kenne es.
Wenn es aus seiner Kiste herauskommt
und vom Schrank herunter
dann wird es mir gefährlich.
Einmal befreit, wächst es stetig
nimmt mir die Luft zum Atmen,
die Lust am Leben,
es würgt mich,
fesselt mich,
lähmt mich,
frisst mich
mit Haut und Haar.

Bisher habe ich es irgendwie
irgendwann
immer geschafft, mich zu befreien
selbst aus seinen Eingeweiden.
Und es wieder klein zu kriegen,
in seine Kiste zu sperren
und zurück auf den Schrank zu verbannen.
Weit nach hinten.

Die Kiste mit ihrem fiesen Inhalt
und vielleicht den Schrank gleich mit zu entsorgen
oder den Raum, in dem Schrank und Kiste stehen,
ein für alle Mal zu verlassen
will mir nicht gelingen.
Wie auch?

Dieser Raum mit Schrank, Kiste und Monster
befindet sich in meinem Kopf.

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Gerade hat sich die Kiste wieder einmal
rumpelnd an den vorderen Rand des Schranks bewegt.
Und der Deckel hat verdächtig gewackelt.
Mit einem rot unterlaufenen Auge
konnte das Monster aus seiner Kiste blinzeln.
Als ich wahrnahm, das es mich fixierte,
erstarrte ich wie das Kaninchen vor der Schlange.

Wohl wissend, was mir als Nächstes blüht,
schaffte ich es DIESMAL, meine Schockstarre aufzulösen.
Mit ein paar innigen Stoßgebeten
fasste ich mir ein Herz und schob die Kiste
gerade noch rechtzeitig
gut verschlossen zurück nach hinten an die Wand.
Und ich packte noch einen Stein auf den Deckel.

Das muss ich mir merken.
Mit der Kiste werde ich fertig
solange das Monster noch drin ist.

Also darf ich den Schrank nicht aus den Augen lassen.
Oder?

Aber heute heißt es:
Ausatmen, durchatmen, freuen
und den Engeln danken!

27-08-10

 

 

 

 

 

So ist es jenseits des Lebendigen

Diesen Text schrieb ich in einer verzweifelten Mail an meine Schwester und meine liebste Freundin. Im August 2001. Kurz darauf zwang mich meine Krankheit zum zweiten Mal in eine Klinik. Während ich in Niederrad gesundete, fielen in New York die Twin Towers.

 

Das ist aktuelle Realität: es ist 10 vor zwei in der Nacht zum 23.8.2001 und ich habe mir in meiner Verzweiflung vorgenommen, durchzumachen, weil ich mich erinnere, daß Schlafentzug als Therapie gegen Depressionen eingesetzt wird. Zur Unterstützung habe ich mir Kaffee gekocht und die Abba-CD eingelegt. Mir werfen sich viele Fragen und Bilder auf.

Wer bin ich? Wo bin ich? Was ist real? Was soll das Leben? Warum hat sich alles verzerrt? Wird es wieder “normal”, wieder gut? Wann?

Bin aus meinem Leben gekippt, aus mir selber rausgefallen, habe mich verloren und weiss nicht mehr was ich glauben soll. Mein Hirn spielt mir üble Streiche. Nehme ich an. Die Höllenbestie Depression hält meine Gedankenwelt besetzt, durchtränkt jede Faser, fickt mich von innen.

Die Depression zieht einen Schleier zwischen mich und die Umwelt, durch den ich die anderen, die “Gesunden” sehen und von ihnen gesehen werden kann - doch unsichtbar, nur für mich selber fühle ich eindeutig diese Trennung zwischen meiner qualvollen Welt hinter dem Schleier und der Welt davor, aus der ich rausgefallen bin. Dort, wo das Leben nicht ohne Unterlass in Frage gestellt oder verwünscht wird merken die Menschen nichts von meiner Andersartigkeit, wenn ich mich nicht oute.

Sie entfernt aber auch einen Schleier - es ist als ob die Wahrnehmung gehäutet wird und alle äußeren Eindrücke, das gesamte Leben in seiner Härte direkt auf rohes Fleisch stoßen, alle Umweltgifte eindringen. Keine Schutzhaut mehr. Nichtdepressive sind in einen Schutzschleier gehüllt, der sie selektiv gerade soviel wahrnehmen lässt, wie sie vertragen.

Was bin ich überhaupt für eine Depressive? Eine mindestens zweigeteilte.
Weil ich diesen unerträglichen Zustand nicht zum ersten Mal erlebe, sind in mir zwei Stimmen laut und ich weiß nicht wo ich dabei bin, welches wirklich meine Gedanken sind. Die Höllenbestie lässt mich denken, dass ich nicht mehr leben will und die andere, rationale Stimme versucht tapfer mit meinen bisherigen Wissens-Erfahrungswerten dagegenzuhalten, daß dies nicht meine wirklichen Gedanken sind und das dieser Horror ein Ende nehmen wird, weil er schon einmal vorüber ging und das nicht nur bei mir, sondern bei vielen Menschen.

Vor acht Jahren erlebte ich, damals noch völlig unwissend und unerfahren meine erste schwere Depression. Sie dauerte fast ein halbes Jahr, beinhaltete mehrere Ansätze zum Suizid und war gefolgt von meiner ersten starken Manie.
Auslöser war damals meine Angst vor dem Diplom. Die Manie wurde schließlich stationär gedämpft. Seitdem nehme ich täglich Lithium. Bis auf kleinere manische Höhenflüge und leicht phlegmatische Zustände blieb ich bis jetzt vor extremen Schwankungen verschont.

Als mich vor fünf Monaten nach 5 gemeinsamen Jahren mein Mann verließ, reagierte ich zunächst stabil. Daraus schloss ich, daß meine Krankheit überwunden sei und fing an, die Lithiumein­nahme zu reduzieren mit meinem alten Wunschziel Ziel eines medikamentenfreien Lebens vor Augen. Dieses Wagnis zu einem solch kritischen Krisenzeitpunkt einzugehen, war eine manisch beeinflusste Schnaps­idee. Ich war mir so sicher, nie wieder eine Depression zu erleben. Niemals hätte ich diesen widerlichen Zustand absichtlich provoziert.

Nach zwei stabilen Monaten in leicht gehobener Stimmung brach doch noch die Trauer über den plötzlichen Verlut meiner Liebe, meiner Ehe und all meiner Zukunftsvisionen und -Pläne über mich herein. Mit aller Kraft versuchte ich, nicht völlig umzufallen, die Depression abzuwenden, doch die Angst, die sich zu meiner Trauer und Verzweiflung gesellte, war stärker. Es war wieder die altbekannte Angst vor dem Leben überhaupt. Hierzu gesellte sich meine traumatisch ge­nährte Angst vor einer weiteren Depression.

Und jetzt sitze ich hier und schreibe. Es denkt die ganze Zeit so in mir: “Wär so gerne tot, mir ist alles zu schwer, zu krass, zu sinnlos.” “Geht nicht. Lebst jetzt erstmal weiter, ob’s dir passt oder nicht.” “Mist, dann also Plan B - weiterleben.”

Weiterleben bedeutet zum Beispiel, zu versuchen, die Nacht durchzumachen und meine Gedanken in die Tastatur zu hacken. Es bedeutet, mich zu erinnern, wer und wie ich war, was ich mochte und was ich für Pläne hatte. Das spiegele ich. Für meine Umwelt und selbst für mich kann ich nahezu perfekt mich selber spielen, bzw. die, die ich wohl war, als ich noch gerne lebte, gar nicht auf die Idee kam, ständig das Leben in Frage zu stellen. Bevor mein Gehirn verseucht wurde.
Ich kann sogar lachen und singen, arbeiten, Unterricht geben und auftreten.
Zeitweise kann ich mich sogar selbst sehr gut ablenken, ja sogar irgendwie oberflächlich erheitern oder auch ärgern. Oder genießen. Gestern ein schönes Titi-Winterstein-Konzert und letzte Woche Sex mit Ali.

Ich versuche weiterhin alle möglichen Dinge zu tun, die ich tat als ich noch nicht mit dieser absoluten und äußerst verzwifelten Antriebslosigkeit erwachte und den ganzen Tag über von sinnlosen schwarzen, sich ständig wiederholenden Zwangsgedanken penetriert wurde.

Ich sehe die Tasten eines Kassettenrecorders vor mir: Es gab Momente, in denen ich mir wünschte, zurückspulen zu können. Aber früher oder später würde das Band ja wieder an die verwünschte Stelle angelangen. Pausetaste, Freeze ist auf Dauer auch öd. Die Gegenwart ist zu schmerzhaft, dann würde ich lieber vorspulen, zu einem Zeitpunkt, an dem alles Schwere überwunden ist. Doch die Realität entspricht nunmal der Play-Taste. Zwar so langsam, daß kein Weg am Schmerz vorbeiführt, aber tröstlich ist, daß ich mich mit “Play” dem gewünschten Zeitpunkt in der Zukunft ebenso nähere wie mit “Fast Foreward”, nur eben in der langsameren Echtzeit. Also Augen zu und durch.

Die, die Hoffnung hat - ist das die aufgesetzte Kopie von mir, quasi mein Avatar oder bin ich das?

Die die nicht (mehr) leben will, ist das das von der Depressionsbestie hypnotisierte Opfer oder bin ich das?

Also wenn Weiterleben wirklich unausweichliches Programm ist, dann will ich mich wiederhaben, so wie ich war. Ohne Gegrübel, ohne Alles-in-Frage-stellerei, mit Antrieb, Mut, Neugier, Zuversicht, Lust und Lebensfreude.

Falls nur Chemie der Grund für mein Leiden ist, kann ich Hoffnung haben: das Lithium nehme ich wieder wie vor dem Versuch, es abzusetzen und seit fünf Tagen schlucke ich zusätzlich Fluoxetin, ein Antidepressiva. Ist mein Schicksal vielleicht doch “Chemie-for-ever” und dann wohl auch keine natürliche Mutterschaft? Meinetwegen - alles nur nicht diese beschissene Scheiß-Depression!

Zwischendurch drängt sich mir die Frage auf, ob ich mit meiner Lebensmüdigkeit kokettiere, übertreibe, mich reinsteigere, “MD7D” spiele. Nein - das alles ist zu grausam für Scherze. Ich komme mir nur schon schizophren vor, weil mein Hirn “tot sein” denkt, ich aber agiere wie eine gesunde Lebende.

Gebet: Gott und alle Engel, alle Wesen - bitte kommt mir zur Hilfe, zieht mich raus. Bitte schnell. Bitte erbarmt Euch meiner... Amen.

(So, jetzt ist es halb vier und ich bin so müde... aber ich will versuchen durchzuhalten, in der Hoffnung, daß das Durchmachen die erwünschte erhellende Wirkung zeigt...)

 

 

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